
Ein ausgedientes Stromkabel ist noch lange kein Abfall. In ihm stecken viele Rohstoffe, die für neue Kabel wiederverwertet werden können. Doch wie schenkt man Wertstoffen neues Leben?
Der Besuch im Recyclingwerk in Bex gibt Antworten.
Die Maschinen auf dem Recycling-Innenhof in Bex laufen auf Hochtouren. Ununterbrochen zerkleinern sie schwarz-bunte Knäuel aus Stromkabeln, die der Bagger in regelmässigen Abständen in den Schredder hievt. Sortieren, laden, schreddern – der Kreislauf folgt einem eingespielten Rhythmus. Hier, an der Grenze zwischen den Kantonen Waadt und Wallis, verarbeitet das Recyclingunternehmen Thommen ausgediente Stromkabel. Besonders eindrücklich sind die ganz grossen Kabel, die auf ihre Wiederverwertung warten. Sie haben teilweise einen Durchmesser von über acht Zentimetern und stammen aus dem hiesigen Stromnetz.
Schicht für Schicht wiederverwertet
Stromkabel bestehen aus einem leitenden Metall wie Kupfer oder Aluminium sowie einer Isolation aus Kunststoff. In einem mehrstufigen Recyclingverfahren zerkleinern die Maschinen in Bex die ausgedienten Stromkabel schrittweise und trennen schliesslich die Materialien. Während Kupfer als Leitmetall in der Schweiz häufiger und wegen seiner flexiblen Eigenschaften vor allem in Erdkabeln genutzt wird, wird Aluminium aufgrund seines geringen Gewichts hauptsächlich in Freileitungen verwendet. Die Kunststoffisolation hingegen ist in allen Kabeln Pflicht: Sowohl in Haushalts- als auch in Erdkabeln sowie in isolierten Freileitungen im Mittel- und Niederspannungsbereich schützt sie vor Feuchtigkeit. Nur so lassen sich Kurzschlüsse vermeiden.
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«Bereits das kleinste Stück eines anderen Metalls kann das gesamte Granulat verunreinigen.»
Gabriel Bruni
Qualität beginnt mit Handarbeit
Von ihren insgesamt 27 Standorten in fünf Ländern betreibt die Thommen Group 15 in der Deutsch- und Westschweiz. In diesen werden wöchentlich unterschiedlichste Stromkabeltypen von Partnerunternehmen aus der Baubranche, von Gemeindewerken und aus der Privatwirtschaft gesammelt und zur spezialisierten Recyclinganlage nach Bex transportiert.
Da Kabel aus verschiedenen Industriemetallen bestehen, ist beim ersten Schreddervorgang höchste Sorgfalt geboten: Ein Mitarbeiter stellt darum in Handarbeit sicher, dass das angelieferte Material sortenrein ist. «Es kann vorkommen, dass Fremdstoffe ins Recyclingmaterial gelangen», erklärt Standortleiter Gabriel Bruni. «Deshalb ist die manuelle Kontrolle ein entscheidender Qualitätsfaktor: Bereits das kleinste Stück Fremdmetall kann das gesamte Granulat verunreinigen.» Dies ist vor allem bei der Herstellung von Kupfergranulat wichtig. Das rot glänzende Metall sollte einen Reinheitsgrad von bis zu 99,9 Prozent aufweisen, damit es für die Produktion von Stromkabeln, Leitern in Elektronik oder Präzisionsteilen verwendet werden kann.
Weniger reines Kupfergranulat dagegen dient der Herstellung von Legierungen wie Messing oder Bronze. Messing kommt etwa in Schrauben oder Möbelbeschlägen zum Einsatz, während Bronze beim Guss von Maschinenteilen eingesetzt wird. Auch in Rohren, Dichtungen oder Bauteilen für die Automobil- und Maschinenindustrie spielen Kupferlegierungen eine wichtige Rolle.
Wiederverwertung bringt’s: 85 Prozent weniger Energie
In der zweiten Recyclingphase gelangen die zerkleinerten Stromkabel, die mittlerweile eine Grösse von 10 bis 15 Millimetern aufweisen, in die Granulation. Dort trennen feine Messer das Metall von der Kunststoffummantelung. Anschliessend trennt eine Kombination aus Luftströmen und Vibrationen beide Materialien sauber voneinander. Das Ergebnis nach einem Tag: giessereifertiges Granulat, das von Bex aus den Weg in verschiedene Kupfergiessereien findet. Und auch die Kabelisolation wird thermisch verwertet. «Ein grosser Vorteil des Recyclings ist, dass wir enorm viel Energie sparen», sagt Gabriel Bruni. So benötigt nur schon die Wiederverwertung von Kupfer bis zu 85 Prozent weniger Energie als seine Neugewinnung aus Erzen. «Damit leisten wir einen grossen Beitrag zur Schonung unserer natürlichen Ressourcen.»
Ein stark beanspruchtes Netz
Mit einer Gesamtlänge von 233 000 Kilometern ist das Schweizer Stromnetz ein weit verzweigtes System. Es bringt den Strom vom Kraftwerk in die Steckdose. Eine komplexe Infrastruktur, die regelmässig gewartet wird: Allein die Swissgrid, Betreiberin des rund 6760 Kilometer langen Übertragungsnetzes – sozusagen die «Strom-Autobahn» der Schweiz –, führt pro Jahr um die 12 000 Inspektionen durch. Und auch die rund 630 Betreiber der regionalen Verteilnetze erneuern fortlaufend ihre gesamthaft knapp 200 000 Kilometer Leitungen.
Ob Materialermüdung, Netzausbau, Modernisierung oder Schäden durch Umwelteinflüsse: «Das Leitungsnetz muss viel aushalten», weiss Gabriel Bruni. Das zeigt sich auch in den Kosten: Die Verteilnetzbetreiber investierten zwischen 2018 und 2022 rund 1,4 Milliarden Franken in die Netzinfrastruktur.
« Urban Mining hilft, Rohstoffe zu schonen»
Antworten von Roman Eppenberger, Verantwortlicher für Technologie und Qualität bei SENS eRecycling.
Wie viel Material recycelt die Schweiz?
Wir Schweizer gehören weltweit zu den Spitzenreitern im Recycling. Pro Jahr werden hierzulande rund 130 000 Tonnen Elektro- und Elektronikschrott gesammelt und verwertet. Davon sind 60 Prozent Metalle, die fast vollständig wiederverwertet werden können.
Wie sieht es mit Stromkabeln aus?
In jedem Haushalt gibt es zahlreiche Kabel, die irgendwann ausgedient haben – sei es das Handyladekabel, das alte Verlängerungskabel, Kabel von Haushaltsgeräten oder Computern. Auch defekte Kopfhörer oder Mehrfachsteckdosen enthalten wertvolle Materialien und sollten bei lokalen Sammelstellen zurückgebracht werden.
Lohnt es sich überhaupt, diese kleinen Haushaltsstromkabel richtig zu entsorgen?
Auf jeden Fall! Genaue Zahlen, wie viel diese Haushaltsstromkabel ausmachen, haben wir nicht, aber: Wird es recycelt, werden auch die kleinsten Stoffe wiederverwertet. Landet es im Hausmüll, wird es verbrannt, und der Rohstoff ist mehrheitlich verloren.
Im Zusammenhang mit Recycling liest man oft von Urban Mining. Was bedeutet das?
Es ist ein zentraler Bestandteil der Kreislaufwirtschaft. Er zielt darauf ab, Rohstoffe nicht aus der Natur, sondern aus bereits bestehenden Produkten zurückzugewinnen. Besonders in der Elektroschrottverwertung ist Urban Mining wichtig. So können wir Metalle wie Kupfer und Aluminium wiederverwerten. Jeder und jede kann also dazu beitragen, nicht nur die Ressourcen zu schonen, sondern auch den Energieaufwand und die Umweltbelastungen zu reduzieren.
Kann ich in meiner Gemeinde recyceln
Alle Recyclingmöglichkeiten in Ihrer Nähe finden Sie unter: recycling-map.ch. Defekte Elektroaltgeräte können auch an jeder Verkaufsstelle kostenlos zurückgebracht werden.
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