Wasserstoff kommt auf der Erde nie rein vor, glaubte man bisher. Darum hat auch nie jemand danach gesucht. Doch die eiserne Regel bekommt Risse. Sogenannter weisser Wasserstoff aus dem Erdinnern ist vielleicht viel häufiger als bisher angenommen. Das hätte gigantische Konsequenzen.
Die Geschichte der Energiewelt ist voller Zufälle und Irrtümer. Siedler im Wilden Westen mieden die unfruchtbaren «Petroleum-Lands». Die ersten Ölquellen wurden verflucht, weil sie das wertvolle Salz verdarben, nach dem man eigentlich gebohrt hatte. Und in Kohleminen war «Schlagwetter» gefürchtet, bevor es als Erdgas Karriere machte. Mit natürlichem Wasserstoff könnte es ähnlich gehen.
Jules Verne in der Horizontalen
Ein Hauch von Wildem Westen ist noch immer da, am Bohrplatz der Universität Lausanne bei Megolo südlich von Domodossola. Während der Bohrarbeiten im Winter lag der Platz immer im Schatten, es war eisig kalt – improvisierte Zelte, Werkzeug, zwei Container mit Labors und eine riesige Bohrmaschine, dasselbe Funktionsprinzip wie die ersten Bohrtürme im Wilden Westen. Othmar Müntener und György Hetényi von der Universität Lausanne, Geologe und Geophysiker, leiten hier ein interdisziplinäres Projekt entlang der «Insubrischen Linie», die geologisch Afrika von Europa trennt.
Hier im Simplongebiet hat sich die afrikanische Platte im Zug der Alpenfaltung um 90 Grad gedreht. «Geologisch ist das Valsesia wie in Jules Vernes Roman ‹Reise zum Mittelpunkt der Erde›, jedoch in der Horizontalen», schwärmt György Hetényi. Ziel ihrer Bohrungen ist die Untersuchung der Gesteine am Übergang zwischen Erdkruste und Erdmantel. In ihren akribisch genau sortierten und fotografierten Bohrkernen sehen sie die Zusammensetzung des Gesteins, aber auch prähistorische Erdbeben, die kurzfristig so viel Reibungshitze erzeugt haben, dass das Gestein geschmolzen und zu Glas geworden ist. Sie suchen auch nach im Gestein eingeschlossenen Bakterien und nach Gasen. Schon bei der Bohrung in der Nähe des Lago Maggiore, in den oberen Teilen des afrikanischen Gesteins, gab’s Überraschungen. «Da war das aus dem Bohrloch strömende Wasser plötzlich voller Blasen. Wir haben die Blasen mit einer PET Flasche aufgefangen und im Labor analysiert. Es war zu über 80 Prozent Wasserstoff. Damit haben wir nicht gerechnet», erzählt Othmar Müntener. Auch in Megolo fanden sie mehr Wasserstoff als erwartet. Und richtig spannend wird es dann, wenn sie in den nächsten Jahren im Valsesia das Gestein aus dem Erdmantel anbohren, das ursprünglich sehr tief in der afrikanischen Platte lag.
«Es ist hier die in Jules Vernes Roman ‹Reise zum Mittelpunkt der Erde›, aber in der Horizontalen»
Für Geophysiker György Hetényi ist das Simplongebiet sehr spannend.
Die Blasen in der PET Flasche von Othmar Müntener und György Hetényi sind eine Sensation. Sie widerlegen die noch immer weit verbreitete Überzeugung, dass Wasserstoff auf der Erde zwar häufig sei, aber nie rein vorkomme. Reiner Wasserstoff (H2) müsse immer hergestellt werden – indem man elektrisch das Wassermolekül (H2O) in Sauerstoff (O2) und Wasserstoff (H2) spaltet, thermisch Methan (CH4) in Kohlendioxid (CO2) und Wasserstoff (H2) oder andere Moleküle technisch zerlegt. Dass es solche Reduktionsprozesse in der Natur gibt, ahnte man, doch niemand hat danach gesucht.
Wasserstoff und Rost
Auch Eric Gaucher ist zufällig auf den weissen Wasserstoff gestossen. Er untersuchte für den französischen Ölkonzern Total Energies in alten Bohrlöchern in den Pyrenäen Gesteinsformationen, die sich für die unterirdische Speicherung von Kohlendioxid eignen würden – das sogenannte «Carbon Capture and Storage», (CCS). Bei Messungen von Gasen im Boden stiessen er und sein Team oft auf fast reinen Wasserstoff. Erst hielten sie es für ein Kuriosität, realisierten dann aber, dass tief in der Erde viel mehr Gas sein könnte, als man bisher glaubte.
«Wo Magnetismus und Eisen ist, findet man Wasserstoffküchen.»
Eric Gaucher, Geologe
Gauchers Arbeitgeber «Total» war vorerst nicht interessiert, darum hat er mittlerweile sein eigenes Consultingunternehmen und berät Wild-West-Start-ups und internationale Ölkonzerne. Er weiss
nun recht genau, wie sogenannte «Wasserstoffküchen» entstehen können – in Gebirgen, in denen das eisenhaltige Erdmantelgestein nahe an der Oberfläche liegt. Magnetismus im Boden ist ein gutes Zeichen. Wenn Wasser oder auch nur Feuchtigkeit eindringt, verbindet sich der Sauerstoff (O2) des Wassers (H2O) mit Eisen (Fe) zu Eisenoxid (FeO) – und entlässt das H2. Es entstehen Wasserstoff und Rost. Das Gas wird dann auf dem Weg nach oben von dichtem Gestein und geologischen Falten konzentriert, kanalisiert und teilweise wohl auch umgewandelt, etwa mit Kohlenstoff zu Methan (CH4). Weisser Wasserstoff ist demnach nicht fossile Energie. Er wird laufend innerhalb weniger Jahre neu gebildet und verflüchtigt sich dann durch die Erdkruste.
Berge und Meere
Nach heutigem Wissensstand ist natürlicher Wasserstoff praktisch in allen Ländern vorhanden. Wasserstoffküchen vermuten Eric Gaucher, Othmar Müntener und György Hetényi in den Pyrenäen, im Simplongebiet, bei Davos oder in der Nähe von Scuol. In der Chrom-Mine von Bulqizë in Albanien gab es in den letzten Jahrzehnten mehrere, teils tödliche Grubenexplosionen. Der übliche Verdächtige war immer Methan. Erst im Februar 2024 realisierte man, dass aus der Mine jährlich mehr als 200 Tonnen 80-prozentiger Wasserstoff strömen. Zum Vergleich: 2022 lag die europäische Produktion von «grünem» Elektrolyse-Wasserstoff bei 3000 Tonnen.
Hoffnung lässt Geld fliessen. Am meisten davon hat das von Bill Gates finanzierte Unternehmen Koloma, mit einem Budget von 325 Millionen Dollar. Das reicht für 15 bis 20 Bohrungen, 2026 könnte die kommerzielle Produktion starten. Für «Big Oil» sind solche Budgets homöopathisch. Aber deren Ingenieure und Geologen beobachten die Entwicklung sehr genau. «Die grossen Ölkonzerne haben alles, was es braucht», sagt Eric Gaucher. «Statt in Sedimentgesteine müssen sie einfach in Erdmantelgesteine bohren.»
Billiger, einfacher, sauberer
Inzwischen fangen die Lausanner Forscher das Gas nicht mehr mit PET-Flaschen ein. Ein dünnes blaues Schläuchlein führt in den Forschungscontainer zum Gas-Chromatographen, der die aus dem Bohrloch austretenden Gase analysiert – Radon, Methan und konstant grössere Mengen an Wasserstoff als erwartet. Vom dünnen blauen Schläuchlein mit wechselndem Gasgemisch zur meterdicken Pipeline mit reinem Wasserstoff ist noch ein weiter Weg. Doch weisser Wasserstoff wäre ein «Game Changer». Er braucht zur Herstellung keinen Strom und wäre viel billiger und ökologischer als alle anderen Arten der Wasserstoffgewinnung. Bohrsysteme, Pipelines und Raffinerien der Öl- und Gasindustrie könnten weiterlaufen. Und die gewaltige Finanzkraft von Big Oil würde Zufall und Irrtum verdrängen. Die Ölindustrie folgt den Erkenntnissen von Forschern wie Othmar Müntener und György Hetényi.
Bei ihrer nächsten Bohrung werden sie nicht mehr überrascht sein. Da rechnen sie fest mit Wasserstoff.
Die bunte Welt des farblosen Gases
Wasserstoff wird nach seiner Produktionsart in Farben eingeteilt. Grün, erzeugt mittels Elektrolyse mit Strom aus erneuerbaren Quellen, wäre ideal, doch weitaus am häufigsten ist heute noch der graue Wasserstoff, produziert aus Erdgas mittels Dampfreformation. Natürlicher weisser Wasserstoff wäre von all den Varianten die billigste, technisch einfachste und wohl auch umweltschonendste.
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